Oktober 2015
Sachstandsbericht zur Erdbebenhilfe
Hallo Ihr Lieben,
bin seit dem 12.10.2015 wieder zurück aus Nepal und möchte Euch zum Thema "Erdbebenhilfe Nepal" einen aktuellen Sachstandbericht geben.
1. Grundsätzliche überlegungen zur Wiederaufbauhilfe nach den Erdbeben am 25.04. und am 12.05.2015:
Unser satzungskonformes Projektziel ist die Behandlung von überwiegend mittellosen Patienten nach Unfällen, Brandverletzungen, geburtsbedingten
Fehlbildungen, mit Tumoren und allen Krankheiten, die im weitesten Sinne in die Fachgebiete der rekonstruktiven Chirurgie fallen. Dies ist den
Spendern versprochen, und unsere Glaubwürdigkeit hängt entscheidend davon ab, ob die Spenden auch ausschließlich dafür ohne
Abzüge und Umwege zur Verfügung stehen. Dies ist elementares Gedankengut für alle die im Projekt Verantwortung tragen.
Wir haben aber auch den Spenderwillen zu respektieren, der uns im Falle der Erdbebenkatastrophe in vielen Fällen ausdrücklich die
Wiederaufbauhilfe als Verwendungszweck genannt hat. Dies ist natürlich sehr weit gefasst und erfordert gut durchdachte Ansätze. In jedem
Fall erwartet der Spender, dass sein Geld nirgendwo versickert oder zweckentfremdet eingesetzt wird, und deshalb ist die zweite wichtige
überlegung nach der Zielgerichtetheit die Kontrolle des beabsichtigten Mitteleinsatzes. Denn eine Spende wird erst dann zur guten Tat, wenn ihr
Zweck wirklich erfüllt ist.
Diesen Auftrag umzusetzen, hat uns viel Kopfschmerzen bereitet, denn die Realität vor Ort ist um ein Vielfaches komplizierter, als wir es uns
zu Hause vorstellen. Es gibt keine vertrauenswürdigen Organisationsformen wie ein Sozialamt, bei dem man den Grad der Hilfsbedürftigkeit
erfragen könnte. Auch die Hospitalleitung und unser Nepalesischer Partner, der SKM-Trust, waren sehr einfallslos und wenig hilfreich. Alle
fürchteten, sich dem Vorwurf der Korruption auszusetzen, fürchteten Neiddebatten und die Störung des Betriebsfriedens im Hospital.
Deshalb habe ich mich entschlossen, das gesamte Hilfsprogramm in die alleinige Verantwortung von Interplast Germany ohne jede Beteiligung
der nepalesischen Seite zu legen. Wir sind stark genug, haben wirkliche Autorität und sind gegenüber allen Verdächtigungen unlauterer
Machenschaften erhaben und glaubwürdig. Das steht zwar unserem Projektziel der Übertragung der Verantwortung in nepalesische Hände entgegen,
aber während und nach Katastrophen schien mir diese Abweichung von der Linie gerechtfertigt.
2. Zusammensetzung des Erdbebenfonds:
Für die Wiederaufbauhilfe standen folgende Gelder zur Verfügung:
- 20 000,- Euro vom Kindermissionswerk (Sternsinger!). Daraus wurde die Übergangshilfe für die Monsunzeit durch Trudi Reske finanziert.
- 25 000,- Euro von der Interplast-Sektion Eschweiler unter Elmar Nick und Rolf Overs-Frerker und vielen anderen. Der Betrag wurde
direkt nach Nepal überwiesen.
- 25 000,- Euro von der von Dr. Bernhard Uhl neugegründeten Deutsch-Nepalesischen Gynäkologischen Gesellschaft. Ebenfalls Direktüberweisung
nach Nepal
- 25 000,- Euro von unserer eigenen Sektion "Nepalprojekt"
Ich betrachte dies als ein Topf, aus dem die folgenden Einzelmaßnahmen finanziert wurden/werden. Die Beschränkung auf die Familien unserer
Hospitalmitarbeiter ist einzig der besseren Kontrollmöglichkeit geschuldet. Alles andere wäre nicht steuerbar gewesen. Ich betrachte dies
aber nicht als Erdbebenhilfe für das Hospital sondern für die Allgemeinheit!
3. Erdbebenhilfe in Schritten und in verschiedenen Hilfspaketen:
3.1. Nach dem Hauptbeben am 25.04. versuchten die Leute sich mit Plastikplanen und Zelten vor dem gerade beginnenden Monsun zu schützen.
Alle älteren Häuser in der Umgebung um das Hospital waren zusammen gefallen oder so stark in ihrer statischen Substanz angeknackst, dass sie
beim nächsten stärkeren Erdstoß zusammen zu fallen drohten. Selbst die Bewohner der noch intakten Häuser trauten sich nicht zurück
und bevorzugten die Notunterkünfte. Nach wenigen Tagen waren diese Lager völlig durchnässt und unzureichend. Man kann z.B. unter einer
Plastikfolie keinen Kerosinkocher betreiben. Als Soforthilfe habe ich am 28.04. 1000 Meter Plastikfolie und viele Rollen Schaumstoffmatten
beschafft und bezahlt. Es ging also zunächst darum, Lösungen zu finden, mit denen die Leute die nächsten 5 Monate den Monsuns überstehen
konnten.
Direkt nach meiner Rückkehr in der ersten Maiwoche erklärte sich Trudi Reske aus Voerde bereit, nach Nepal zu fliegen und diese
Interimslösung für unsere Hospitalangehörigen zu organisieren. Sie führte unzählige Einzelgespräche und versuchte die individuelle
Not der Familien heraus zu finden. Es ging darum, Baumaterial wie Bambus- oder Holzstangen und endlos viel Wellblech zu beschaffen. Manche Familien
hatten ihre gesamte Kücheneinrichtung verloren. Innerhalb von 4 Wochen hat Trudi Reske insgesamt 17500 Euro an Hospitalangehörige und deren
Familie ausbezahlt. Dafür sei ihr ein großes Lob ausgesprochen.
Schlecht geeignete Wellblechhütte
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Provisorische Küche
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3.2. Mit Ende des Monsuns im September flog ich erneut nach Nepal, um die eigentliche Wiederaufbauhilfe zu starten. Im Hospital war
weitgehend wieder Normalbetrieb, und es gab eigentlich keine Erdbebenpatienten mehr. Erstaunlich war die gute Belegung während der gesamten
Monsunzeit, denn normalerweise gingen die Patientenzahlen in dieser Jahreszeit immer stark zurück. Insgesamt machte die Belegschaft einen
guten und motivierten Eindruck, obwohl fast alle zu Hause ein "Erdbebenproblem" hatten. Von der 60-köpfigen Belegschaft hatten 30 ihre Häuser
ganz verloren, und bei 15 weiteren waren sie wegen der Beschädigungen nur teilweise bewohnbar. Ich sah mich veranlasst, allen Mitarbeitern eine
Einmalzahlung von 250 Euro quasi als Dank und Motivationsgeld auszubezahlen.
3.3. Mittels eines standardisierten Fragebogens habe ich alle Mitarbeiter einzeln zu ihrer Lebenssituation vor und nach dem Beben befragt.
Ich habe herauszufinden versucht, wie wohlhabend die Familie ist, wieviel Einkommen zur Verfügung stehen, wieviele Motorräder und Kühe sie
haben und welche Pläne ihnen für den Wiederaufbau vorschweben. Bis zu diesem Zeitpunkt gab es weder von staatlicher noch anderer Seite
irgendeine Hilfe. Allerdings haben mir alle ein staatliches Gutachten zu Beschädigungsgrad der Gebäude vorlegen müssen. Das hat die Regierung
sehr schnell für alle Hausbesitzer erstellt. Ich habe dann Beträge zwischen 300 und 1100 Euro als Starthilfe bewilligt und ihnen dies in
einem kleinen Brieflein eröffnet. Die Gelder gingen direkt auf die Gehaltskonten. Alles habe ich genauestens protokolliert, und jeder kann
meine Unterlagen im Detail einsehen.
Überall Wellblech
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Wellblechhütte als Schlafraum
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Wellblech als Übergangslösung
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Behelfshütte neben unbewohnbarem Haus
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3.4. Eine weitere sinnvolle und zugleich kontrollierbare Aktion schien mir zu sein, den umliegenden nicht privaten Schulen und den Healthposts
Wiederaufbauhilfe zu leisten. Dazu habe ich mit dem Bürgermeister von Sankhu sehr konstruktive Gespräche geführt. In wenigen Tagen hatten
wir einen detaillierten Bedarfsplan für 19 Schulen und 5 Healthposts vorliegen. Wir haben dann alle Schulleiter und Verantwortliche der
Healthposts zu einem Meeting ins Hospital eingeladen. Für jedes Projekt wurde ein kleiner Unterstützungsvertrag zwischen dem Hospital und den
Projekten abgeschlossen, und in einer feierlichen Zeremonie wurde alles besiegelt. Dazu einige Fotos und übersichten sowie ein Beispiel als
Anlage. Insgesamt wurden ca. 20 Tausend Euro zugesagt. Später habe ich noch 3 Schulen von der gegenüberliegenden Hangseite in Richtung Djangu
Narajan Tempel dazu genommen. Ich habe angekündigt, alle Projekte und die ordnungsgemäße Durchführung der beantragten Maßnahmen
persönlich während meines nächsten Aufenthaltes ab 17.11. zu kontrollieren.
Beratung mit Schulleitern
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Abschluß der Hilfsverträge
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Schulen und Healthposts sind zufrieden
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3.5. Weiterhin habe ich angeboten, dass jeder bei Bedarf ein zinsloses Darlehen zu humanem Rückzahlungsmodus zum Wiederaufbau erhalten kann.
An diesen Regularien müssen wir noch arbeiten. Ich wollte dafür den Restbetrag von ca. 25.000 Euro aus dem Topf reservieren.
Begonnener Neubau
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eine neue Wellblechkirche
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Soviel zum jetzigen Sachstand. Wir haben damit beispielgebend als erste Institution schnell und unbürokratisch geholfen. Von staatlicher
Seite wurden bisher nur Ankündigungen vorgenommen, aber de facto ist nichts passiert.
Zur eigentlichen Erdbebenkatastrophe kam nun auch noch das Handelsembargo von Indien als Folge der neuen Verfassung hinzu. Es gibt in ganz
Nepal kaum noch Benzin/Diesel oder Flaschengas. Selbst unsere Kantine kocht auf Holzfeuer im Freien. Nachdem wir bis auf nur noch 3 Fässer
Diesel (19 leere Fässer) abgewirtschaftet waren, habe ich einer Lieferung zu überhöhten Preisen auf dem Schwarzmarkt zugestimmt, denn wir
haben das Hospital voller Patienten und unsere Fürsorgepflicht ihnen gegenüber ließ uns keine andere Wahl. Die Preise für alles, besonders
Baumaterialien, steigen rapide, und man kann nur beten, dass unsere Hilfe durch diese Situation nicht verpufft.
Im November werde ich mir erneut ein Bild machen und ggf. etwas nachsteuern. Es wird aber von uns in weiterer Zukunft keine weitere Hilfe
geben.
Hein Stahl
INTERPLAST-Germany e. V.
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